Fluganfänger oder aus dem Nest gefallen? PETA-Expertin gibt Tipps, wie Menschen Tierkinder in Not erkennen und im Ernstfall richtig handeln

Teufen (AR), 22. Mai 2025 – Erste Hilfe in der Natur: Der Frühling ist die Zeit der Tierkinder – und so piept und fiepst es aktuell wieder in Wäldern, Fluren und Gärten. Viele Menschen entdecken auch in ihrem Umfeld scheinbar hilflosen tierischen Nachwuchs: Ein Amselkind sitzt vermeintlich ohne Schutz im Vorgarten, ein junger Feldhase kauert mutterseelenallein in der Wiese. Oft werden die Kleinen dann in der Annahme, sie seien «verwaist», in Tierschutzheimen oder Wildtierstationen abgegeben. Die wohlmeinende Hilfsbereitschaft ist jedoch in einigen Fällen nicht erforderlich oder sogar kontraproduktiv. Häufig wurden die Jungtiere nicht im Stich gelassen, sondern stehen unter ständiger Beobachtung und dem Schutz ihrer Eltern. In anderen Bereichen erhalten Tierkinder jedoch nicht immer rechtzeitig Hilfe. PETA-Fachreferentin Dr. Yvonne Würz gibt wichtige Tipps im Umgang mit dem Wildtiernachwuchs und erklärt, wie Menschen Tiere in Not erkennen und ihnen im Ernstfall richtig helfen.

«Immer wieder kommt es vor, dass Tierkinder grundlos von Menschen mitgenommen und so von ihren Eltern getrennt werden», so Dr. Yvonne Würz. «Tierfreundinnen und Tierfreunde sollten deshalb genau abwägen oder Fachleute um Rat fragen, ob ein Eingreifen wirklich nötig ist, denn auch Wildtiere sind am allerbesten bei ihren Familien aufgehoben.»

Gut versorgt oder in Not? Wann menschliche Hilfe gebraucht wird:

Vogelkinder: Viele Vögel sind Nesthocker, sie kommen hilflos zur Welt – oft blind, nackt und bewegungsunfähig, sind sie vollständig auf die Fürsorge ihrer Eltern angewiesen. Noch bevor ihr Gefieder komplett ausgebildet ist, starten die meisten Jungvögel erste Flugversuche und verlassen dafür das Nest. Dabei bleiben sie weiterhin in der Nähe – bis sie schliesslich selbstständig werden. Meist sind ihre Eltern nicht weit entfernt und kümmern sich wieder um ihren Nachwuchs, sobald beobachtende Menschen sich entfernt haben.

  • Flügge Jungvögel (Ästlinge): Trifft man auf einen kleinen, weitgehend mit Federn bedeckten Vogel, der seine ersten Flugversuche startet, so kann dieser, sofern er sich in einer Gefahrensituation befindet, auf einen nahegelegenen Baum oder in einen dichten Strauch gesetzt werden. Vögel dürfen dabei im Gegensatz zu Säugetieren mit der blossen Hand angefasst werden, da die Eltern sie trotz Fremdgeruch annehmen.
  • Nestlinge zurücksetzen: Wird ein weitgehend nacktes Jungtier auf dem Boden unter einem Vogelnest aufgefunden, ist es mit grosser Wahrscheinlichkeit tatsächlich aus dem Nest gefallen. In diesem Fall sollte das Vogelkind vorsichtig aufgehoben und – falls es unverletzt ist – zurück ins Nest gesetzt werden. Ein Bilderabgleich im Internet kann auch Laien helfen, den Unterschied zu Ästlingen zu erkennen. Ausserdem gibt es Vogelarten ohne (ausgeprägte) Ästlingsphase und solche, die am Boden immer Hilfe benötigen, wie beispielsweise Mauersegler. Da eine falsche Beurteilung jedoch über Leben und Tod entscheiden kann, ist es immer ratsam, ein Foto zu machen und sich noch an Ort und Stelle telefonisch oder in Internetforen an fachkundige Personen zu wenden.
  • Wenn ein ganzes Nest heruntergefallen ist: Ist ein gesamtes Nest mit Vogelkindern beispielsweise aus einem Baum gefallen, sollte es in unmittelbarer Umgebung in Sicherheit gebracht werden – etwa auf einem Busch, damit Katzen und andere Tiere es nicht so leicht erreichen. Statt eigene Rettungsversuche zu unternehmen, ist es wichtig, umgehend Kontakt zu Fachpersonen aufzunehmen und deren Instruktionen zu befolgen.

Sogenannte Nestflüchter, beispielsweise Enten, verlassen dagegen bereits nach dem Schlüpfen das Nest. So niedlich die kleinen Küken der Wasservögel in den Stadtparks auch sind, sollte immer ausreichend Abstand zu Enten-, Gänse- und Schwanenfamilien gehalten werden, sodass die Tiere sich nicht bedroht fühlen.  

Hilfe im Notfall: Verletzte flügge Jungvögel können zum Transport in einen mit Zeitungspapier oder Papiertaschentüchern ausgelegten und mit Luftlöchern versehenen Karton samt Stock als Sitzstange gesetzt werden. Nackte Jungvögel (Nestlinge) sollten in einem «Nest» aus einem eingerollten Handtuch untergebracht werden. Dieses kann dann in einen gut belüfteten Karton gestellt und von aussen mit einem nicht zu heissen Heizkissen oder einer Wärmflasche warm gehalten werden. Dabei ist es wichtig, auf keinen Fall Wasser oder Nahrung anzubieten, weil die Tiere schlimmstenfalls ersticken können.

Rehkitze und Feldhasen: Behaarte Jungtiere, die ruhig im dichten Gras liegen, brauchen gewöhnlich keine menschliche Hilfe. Rehe und Feldhasen legen ihre Kinder dort ab und kehren in regelmässigen Abständen zurück, um den Nachwuchs zu säugen. Auf diese Weise schützen die Tiere ihre Jungen vor Feinden, die durch die Anwesenheit der Alttiere eventuell angelockt werden könnten.

  • Hilfe im Notfall: Ist ein Tierkind in akuter Gefahr und muss in Sicherheit gebracht werden, darf es nicht mit blossen Händen berührt werden. Am besten nehmen Helfende das Tierkind mit einer dicken Schicht aus Heu, Gras und Blättern auf. Im Anschluss sollte aus sicherer Entfernung genau beobachtet werden, ob die Mutter zurückkehrt und sich um das Jungtier kümmert.
  • Verwaiste Tierkinder: Es kommt immer wieder vor, dass Tiermütter im Strassenverkehr ums Leben kommen oder von Jägerinnen beziehungsweise Jägern erschossen werden. Wenn sich ein Tierkind auffällig verhält, längere Zeit umherläuft und laute Rufe ausstösst oder aber deutlich geschwächt oder verletzt ist, dann ist es ratsam, dies unverzüglich der nächstliegenden Wildtierstation zu melden.

Wenn ein augenscheinlich hilfebedürftiges Tier gefunden wird, gilt grundsätzlich:

  • Unnötigen Kontakt mit den Tieren vermeiden: Jede Interaktion mit Menschen bedeutet grossen Stress für Wildtiere. Anders als domestizierte Tiere wie Hunde oder Katzen sind Wildtiere nicht an den engen Kontakt mit Menschen gewöhnt. Daher gilt es, die Situation zunächst mit Abstand genau zu beobachten.
  • Sachverständigenmeinung hinzuziehen: Aufgrund von situations- und artbedingten Unterschieden ist es empfehlenswert, immer den Rat von Fachleuten einzuholen. Kontaktdaten von örtlichen Wildtierstationen können bei Naturschutzbehörden, in tierärztlichen Praxen, Tierschutzvereinen, Tierheimen und teils im Internet erfragt werden.
  • Fundort notieren: Werden im Notfall Tiere aus der Natur mitgenommen, ist es wichtig, den genauen Fundort an die professionell Helfenden weiterzugeben, sodass die Tiere bestenfalls nach ihrer Genesung wieder an diesem Ort freigelassen werden können.
  • Meldepflicht: Nehmen Tierfreundinnen und Tierfreunde ein hilfebedürftiges Wildtier an sich, sollte dies bei einer Pflegestelle (Wildtierstation, Tierheim etc.) abgegeben und der zuständigen Naturschutzbehörde gemeldet werden. So können Fachkräfte das Tier optimal betreuen. Auch wenn es aus bester Absicht geschieht, können selbst durchgeführte Aufzuchtversuche fatale Folgen haben: Fehlernährung und Fehlprägung führen oft dazu, dass die Tiere nicht überleben oder nicht mehr ausgewildert werden können. Um Wildtierstationen zu entlasten, können Menschen unter fachkundiger Anleitung helfen, verwaiste Tierkinder grosszuziehen.
  • Schnelles Handeln bei akuter Gefahr: Befindet sich ein Tier in einer akuten Gefahrensituation, sollte es so rasch wie möglich in Sicherheit gebracht werden. Wie am besten Erste Hilfe geleistet werden kann, lässt sich beim örtlichen Tiernotdienst oder bei der Feuerwehr in Erfahrung bringen.

PETAs Motto lautet: Tiere sind nicht dazu da, dass wir an ihnen experimentieren, sie essen, sie anziehen, sie uns unterhalten oder wir sie in irgendeiner anderen Form ausbeuten. Die Organisation setzt sich gegen Speziesismus ein – eine Form von Diskriminierung, bei der Tiere aufgrund ihrer Artzugehörigkeit abgewertet werden.

Weitere Informationen:
PETA-Schweiz.ch/Themen/Wildtiere/